Vielleicht hast du dich beim letzten Blog bereits gefragt, ob das, was ich dort in Bezug auf Verbundenheit geschrieben habe, von meiner Spiritualität oder meinem Glauben zeugt? Vielleicht aber auch, wie jemand, der sich so viel mit Wissenschaft befaßt, überhaupt spirituelle Anwandlungen haben kann? Möglicherweise hast du auch darüber nachgedacht, daß du zunehmend von Menschen in deinem Umfeld hörst, daß sie sich nach Spiritualität oder Glauben sehnen.

Und tatsächlich steigt in der sogenannten „freien Welt“ das Bedürfnis stetig an, sich mit spirituellen oder transzendenten Themen zu befassen. Warum das so ist, wie sich das von Religion unterscheidet und wie du erkennen kannst, ob du selbst bereits auf der Suche bist, ist Thema meines heutigen Blogs.

 

Was ist denn nun Spiritualität?

Das Wort Spiritualität kommt von dem lateinischen Wort „spiritus“. Das bedeutet Geist oder Hauch. Es bezeichnet also etwas Unsichtbares, etwas sinnlich oder materiell nicht Fassbares. Wichtig ist dabei, daß dieser Geist als eine transzendente Idee bzw. als etwas Grundlegendes betrachtet wird, das der materiellen Welt zu Grunde liegt.

Bevor sich der Glaube an konkrete Götter oder Geister herausbildete, war Spiritualität ein Bestandteil des Lebens. Wir sind uns auf Grund der Vergleiche zu heute noch existierenden Kulturen, die die Natur als beseelt erleben, sicher, daß bereits die Bestattungen der Neandertaler und der heutigen Menschen vor mehr als 120.000 Jahren ein Ausdruck von Glauben waren. Die später entstandenen Kultfiguren und Höhlenmalereien machen diesen Bezug zu einer nicht realen Ebene noch deutlicher. Sie gipfelten bereits 10.000 Jahre vor Christus in den ersten Tempelanlagen. Es scheint also, als wäre die Bewußtwerdung unserer Species unmittelbar mit Spiritualität verbunden. Das Verständnis, daß alles lebt, führte zwangsläufig zu den Versuchen, mit diesen nicht sichtbaren Geistern Kontakt aufzunehmen, was die Grundlage für die Entwicklung von Schamanen, Riten und Regeln war.

 

Und Religion?

Religion kommt von dem lateinischen Wort „religio“. Das bedeutet „gewissenhafte Berücksichtigung“ oder „Sorgfalt“. Verwandt ist auch das lateinische Verb „relegere“, das „bedenken, achtgeben“ heißt. Wobei es vor allem meint: „achtgeben auf Vorzeichen oder Vorschriften“.  Entwicklungsgeschichtlich ist der Übergang zwischen der spirituellen Lebensform und der Religion fließend. Tendenziell wird Spiritualität zur Religion, wenn es zwischen dem Menschen und dem Übersinnlichen einen Mittler gibt und bestimmte festgelegte Regeln und Riten existieren, die den Umgang mit dem Übersinnlichen beschreiben.

 

Was sind Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Spiritualität und Religion?

Gemeinsamkeiten

Beiden gemeinsam ist der Glaube an etwas Übernatürliches, seien es nun Kraftfelder, Geister, Götter oder die Ahnen. Sowohl Spiritualität als auch Religion bieten eine Orientierung im Leben. Sie beantworten die Fragen nach dem Sinn und Zweck des Lebens. Sie zeigen auf, was nach dem Leben kommt, und sie geben Hinweise, wie wir uns in der Welt aufzustellen haben. Beide vermitteln Sicherheit und Geborgenheit. Und in beiden finden sich Möglichkeiten, selbst direkt mit dem Übersinnlichen in Kontakt zu treten.

Unterschiede

Das Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit liegt für religiöse Menschen in der über die Religion definierten Gemeinschaft. Spirituelle Menschen finden ihre Geborgenheit in dem Gefühl, in der Allheit, der Ganzheit aufgehoben zu sein. Während die Religionen der Welt, allen voran die drei monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam zahlreiche Regeln und Vorschriften für die Gläubigen bereithalten, kommt Spiritualität ohne einen solchen Kanon aus. Ein spiritueller Mensch ist sein Leben lang auf der Suche nach der transzendenten Weltenseele. Ein religiöser Mensch vertraut eher auf die Vermittlung eines Geistlichen und eine Belohnung im Jenseits, wenn alle Regeln befolgt werden.

Religionen bieten neben dem Glauben vor allem auch zahlreiche Regeln zum menschlichen Zusammenleben. Sie organisieren das Leben der Gemeinde und das ihrer Mitglieder und bieten dadurch ein intensives Wir-Gefühl. Spiritualität ist unabhängig von dem materiellen Leben des Einzelnen und beschreibt einen sehr persönlichen Entwicklungsweg. Dadurch gibt es auch wenig Abgrenzungsprobleme zu anderen Menschen, während Religionen häufig über ihr Wir-Gefühl andere als feindlich klassifizieren und sie daher gelegentlich aggressiv bekämpfen.

Während religiöse Menschen oft Scham und Schuld verspüren, wenn sie sich nicht regelkonform verhalten, sind spirituell Suchende gelegentlich verzweifelt, weil ihnen der Zugang zur Allheit verwehrt bleibt.

 

Wie sieht die heutige Situation in Westeuropa aus?

Mit der französischen Revolution von 1789 in Frankreich rückte endgültig der Mensch in den Mittelpunkt der Betrachtung. Gleichzeitig wurde die Trennung zwischen Wissenschaft und Glauben in Folge der wissenschaftlichen und technischen Erkenntnisse vollzogen. Und auch wenn Albert Einstein noch formulierte: „Wissenschaft ohne Religion ist lahm, Religion ohne Wissenschaft ist blind.“, so wurde diese Trennung bis heute durchgehalten, wie ich schon letzten Monat traurig anmerken mußte.

Die beiden großen Weltkriege in Europa haben sicherlich viele Menschen an Gott verzweifeln lassen. Mein 1919 geborener Vater hat immer gesagt, daß sein Vater als religiöser Mensch in den I. Weltkrieg gezogen ist und als Atheist zurückkam. Er hat das damals damit begründet, daß er sich keinen liebevollen Gott vorstellen kann, der ein solches menschliches Elend zuläßt. Im Osten Europas setzte sich nach dem II. Weltkrieg eine sehr materialistische Weltanschauung durch, folgend dem Ausspruch von Karl Marx: „Religion ist Opium fürs Volk.“

Und so bilden mittlerweile die Nichtreligiösen nach den Christen und den Muslimen die drittgrößte Gruppe weltweit. In Deutschland stellen sie bereits die größte Gruppe mit 32 % der Bevölkerung vor 30% römisch-katholischen und 29% evangelischen Gläubigen. Der Islam gewinnt auch in Deutschland ständig an Bedeutung, liegt prozentual aber noch immer weit abgeschlagen bei noch nicht mal 10% der Bevölkerung.

 

Ist diese Abkehr von der Religion ein weltweites Phänomen?

Nein, im Gegenteil. In Europa ist die Trennung zwischen Kirche und Staat sowie der ständige Rückgang gläubiger Menschen seit Jahrzehnten zu beobachten. Allerdings wird nirgends erfaßt, wie viele der nichtreligiösen Menschen in Europa auf einer spirituellen Suche sind oder sich als spirituell bezeichnen würden. Ich selbst antworte bei Fragen auf Religion auch immer mit nein, weil ich keiner Religion zugehöre und auch an keinen Gott glaube. Ich würde mich als spirituell bezeichnen, habe diese Antwortmöglichkeit aber sehr selten.

In Afrika, Lateinamerika und Asien (vor allem in Arabien) sind die Religionen nach wie vor nicht nur eine große Macht, sondern gewinnen sogar an Einfluss. Auch das vermutlich, weil die Menschen nach Orientierung und Zugehörigkeit suchen. Dabei ist es einfacher, sich an seit alters her bewährte Konzepte wie die klassischen Religionen zu halten, denn Spiritualität verlangt die Akzeptanz unsicherer oder widersprüchliche Auffassungen, was bereits in sich einen Widerspruch zu Sicherheit darstellt.

 

Warum sucht man dann aber in Europa nach Spiritualität?

Weil wir – siehe Überschrift – nicht ohne Glauben sein können. Ich bin davon überzeugt, der Grund dafür ist, daß wir nach dem Sinn unseres Lebens suchen. In dem Moment, in dem wir neben Essen, Schlafen und Sex Zeit zum Denken hatten, fingen wir an, uns über uns und unsere Umwelt und unsere Existenz in dieser Umwelt Gedanken zu machen. Wer Fragen formulieren kann, will auch Antworten. Und daran hat sich bis heute nichts geändert. Denn auch die Religionen können auf eine wechselhafte Geschichte verschiedenster Sekten und Abspaltungen zurückblicken. Abspaltungen, die bis heute zu neuen Wegen führen. Dabei wird vor allem die spirituelle Suche heute – ganz im Sinne Einsteins – von den Erkenntnissen der Quantenphysik begleitet.

 

VUCA-Welt

Und wenn wir uns unserer Welt so anschauen, ist das ja auch alles nicht mehr so einfach, oder? Wir leben in einer so genannten VUCA-Welt. VUCA steht für volatility (Unbeständigkeit), uncertainty (Unsicherheit), complexity (Komplexität) und ambiguity (Mehrdeutigkeit). Das beschreibt als Akronym, was für viele Menschen so schwer faßbar ist. Unsere Welt verändert sich ständig, Sicherheiten gehen verloren, kommende Entwicklungen sind gar nicht mehr vorhersagbar. Ebenen vermischen sich und die Komplexität der Zusammenhänge, die man für Entscheidungen berücksichtigen muß, vervielfacht sich ständig. Die einfache Unterscheidung zwischen weiß und schwarz ist aufgehoben, es könnte auch bunt sein oder schwarz und weiß. Das zu durchschauen und auch die Widersprüche wieder zusammenzuführen, ist für niemanden eine leichte Aufgabe.

Deshalb fühlen sich viele Menschen verloren und haben keine Ahnung, woran sie sich festhalten sollen. Die alten Religionsgemeinschaften und damit verbundenen festen, örtlich gebundenen Kirchengemeinschaften gibt es nicht mehr, die Familie als Großfamilie mit einem festen örtlichen Zentrum ist ebenso Vergangenheit und die Kleinfamilie bietet keine Basis für das Gefühl einer übergreifenden Verbundenheit, Zugehörigkeit und Sicherheit. Manche Menschen reagieren darauf mit Sehnsucht nach der Vergangenheit und versuchen mit allen Mitteln, sich dem Fortschritt und der Veränderung entgegenzustellen. Andere machen sich auf den Weg in eine neue Zukunft.

 

Exkurs: Spiral Dynamics

Ich bin ja ein großer Fan der Theorie der Spiral Dynamics (siehe hier den Blog zum Thema und den Fragebogen zu deiner eigenen Einschätzung). Auch in Bezug auf Religion und Spiritualität sagt diese Theorie – bislang aus meiner Sicht sehr zutreffend – aus, daß nach der Phase dogmatischer Religion und ebenso dogmatischer Überzeugung, die Menschen auf der realen und materiellen Ebene durch Belehrung und Erziehung zur Besserung zu bewegen, endlich eine Zeit anbrechen wird, die uns über das Verständnis der Komplexität und der zahlreichen Widersprüche in eine spirituelle Verbundenheit mit allem führen wird. Und zwar diesmal – und erstmalig – ohne Dogma und damit ohne Schuld und Scham. Hier werden die aus meiner Sicht absolut überzeugenden Stärken der Spiritualität gegenüber der Religion noch einmal ins rechte Licht gesetzt: Ein persönlicher, frei wählbarer Weg und ein Weg, der uns mit den anderen Lebensformen und dem Universum verbindet.

 

Wo finden Menschen denn spirituelle Heimat?

Auf der Suche nach der Ganzheit wenden sich manche buddhistischen Lehren und Praktiken zu, andere schauen rückwärts auf den Glauben der alten Germanen oder Wikinger oder fokussieren sich auf die Verbindung zur Natur, entweder in spirituellen Gemeinschaften oder auch in der Wiederaufnahme von Hexenwissen. Und wieder andere verknüpfen Erkenntnisse der Quantenphysik mit dem alten mystischen Wissen um Alles im Einen und dem Einen in Allem (siehe mein letzter Blog).

 

Wie gelangt jemand auf den Weg zur Spiritualität?

Die Suche nach spiritueller Wahrheit wird häufig getriggert durch schwere Krankheiten oder Tragödien wie Scheidungen, aber auch durch das Ende von Lebensabschnitten wie z.B. der sogenannten Midlifecrisis. Oft genug ist es gar nicht der Wunsch, sich einer immateriellen Ebene zu öffnen, sondern das Ergebnis eines Weges, der in einem sehr tiefen und dunklen Tal beginnt.

Menschen, die sich auf die Suche begeben, berichten in der Regel alle von den gleichen Erfahrungen. Es beginnt damit, daß man sich extrem abgeschnitten von allem fühlt. Das Leben hat allen Sinn verloren, man fühlt sich allein, verlassen, unsicher und von allem losgelöst. Auf der – für dieses Thema sehr empfehlenswerten – Seite „Lonerwolf“ (hier: ) wird dieser Zustand wunderschön als „die dunkle Nacht der Seele“ bezeichnet. Jeder, der schon mal in einem dunklen Loch war, weiß, daß dieses Loch eine Notwendigkeit dafür war, hinterher das Licht heller leuchten sehen zu können. So ist es auch mit der spirituellen Suche. Erst mußt du das Gefühl haben, emotional und seelisch tot zu sein, ehe du verstehst, daß du ein Licht für deine Seele benötigst.  

 

Wie weißt du, daß du bewußt oder unbewußt auf der Suche nach Spiritualität bist?

Das erste Anzeichen ist diese „dunkle Nacht der Seele“. Doch darfst du dabei natürlich nicht stehen bleiben. Wenn du also versuchst, deine bisherige Perspektive zu wechseln und nach Antworten zu suchen, bist du schon auf einem Weg, der dich auch – wenn auch nicht zwingend – zu einem spirituellen Erwachen führen kann. Eine große Rolle spielt auf diesem Weg die Selbstreflexion. Wenn du viel über dich nachdenkst und nach Wegen für die Auflösung deiner Lebenstraumata suchst, bist du einen großen Schritt in Richtung der Frage gegangen, was der Sinn deines Lebens ist, wozu du auf diesem Planeten bist und wie sich dein Leben weiterentwickeln soll.

Ein sicheres Anzeichen ist die Tatsache, daß du aufhörst, dich selbst zu belügen und die Dinge, die du an dir nicht magst, offenlegst. Das nennt man so schön „seinen Schatten integrieren“ – ein wesentlicher Baustein zu einem Leben in Freude und Freiheit.

Du gibst dich nicht mit einfachen Antworten zufrieden, sondern versuchst tiefer zu graben. Dabei erkennst du zunehmend die Illusionen, die die Gesellschaft anbietet, Konsum, Ablenkung, Verdrängung. Und du siehst eben auch, wie unglücklich die meisten Menschen in genau dieser Gesellschaft sind.

Du verlierst Menschen, die deine ständigen Fragen nicht mehr ertragen. Und du gehst den schweren Weg, neue Menschen zu finden, bei denen du wieder Authentizität und Wahrheit findest.

Eine Empfindlichkeit prägt sich aus. Nicht nur für deine Themen, sondern vielmehr für die Schmerzen anderer Lebewesen, egal ob Mensch, Tier oder Pflanze. Du spürst das Leid und willst dazu beitragen, daß die Welt ein besserer Platz wird.

Am Ende begreifst du die Verbindung zwischen dir und allem und findest eine neue Sicherheit und Geborgenheit, die dir auch das Vertrauen gibt, das zu tun, was du wirklich tief in dir möchtest.

Fazit:

In Westeuropa ist die Spiritualität auf dem Vormarsch und verdrängt die alten dogmatischen Regeln der Religionen. Sie ist ein Weg, der sich vielen Menschen erst über die Lösung persönlicher Traumata und während der Suche nach dem Sinn des eigenen Lebens eröffnet. Da sie wegen der Verbundenheit von Allem mit Allem auf Liebe, Freude, Freiheit und Wahrnehmung setzt, ist das vielleicht der Weg, auf dem unsere Erde heilen kann. Wenn du dich in diesen Schritten wiedergefunden hast oder dir dieser Blog eine Idee von einem Weg vermittelt hat, bin ich wie immer sehr glücklich und freue mich über dein Feedback,

Deine Claudia

Übrigens, in eigener Sache:

Weil dieser Weg vom Schatten ins Licht, von der Verzweiflung am Sinn des Lebens zu Lebensfreude und Freiheit zahlreiche Hindernisse enthält, kann ich dir – endlich – ein vollständiges Programm anbieten, das nicht nur die Aufarbeitung der Kindheitstraumata enthält, sondern auch die Integration des Schattens und den Ausgleich zwischen Anima und Animus (hier kannst du übrigens mehr dazu lesen). Das Programm bleibt nicht bei der Rückschau stehen, sondern bietet dir einen erprobten Weg zur Entwicklung und Umsetzung deiner Vorstellungen. Und ja, in aller Regel kommt das Thema Spiritualität irgendwo auf diesem Weg auf und verlangt nach seinem Recht.

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